Nýlendueyjan í norðri: Alusuisse uppgötvar Ísland (á þýsku)
Projekte für Grossindustrien in Island gingen immer davon aus, dass das Land über keine eigenen Rohstoffe verfügt, jedoch sehr reich ist an Wasserkraft. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts wurde die Idee propagiert, mit ausländischem Kapital die einheimische Wasserkraft für Industrieanlagen zu nutzen.
1960 begann die Alusuisse mit den isländischen Behörden über den Aufbau einer Aluminiumhütte zu diskutieren und systematisch Informationen über Island, dessen Geologie, Klima, Bevölkerung, politische Parteien, Gewerkschaften und über die Persönlichkeitsprofile der Entscheidungsträger zu sammeln.
Dank Krediten des Internationalen Währungsfonds (lWF) hatte Islands Regierung 1959 eine radikale Liberalisierung der Wirtschaftspolitik eingeleitet. In einer Parlamentsdebatte über die Abkommen mit Alusuisse begründete sie dies mit internationaler Zusammenarbeit, welche bedeute, dass Länder mit Kapitalreserven anderen Ländern beim Aufbau profitabler Industrien helfen.
Als Gesprächsforum mit möglichen ausländischen Investorenwurde ein Komitee für Grossindustrie gegründet, das von Dr. Johannes Nordal präsidiert wurde, dem Direktor der Isländischen Zentralbank, der später auch Vorstandsvorsitzender der Nationalen Energiegesellschaft wurde. Nordal war einer der stärksten Förderer ausländischer Investitionen und nahm an allen Gesprächen mit Alusuisse teil, oft als Verhandlungsleiter.
Die Aufgabe des Komitees war, die Möglichkeiten der Aluminiumverarbeitung in Island zu untersuchen. Das Komitee nahm Kontakte mit den beiden US-amerikanischen Gesellschaften Reynolds Metal und Kaiser Aluminium auf, ernsthafte Gespräche wurden aber nur mit der französischen Pechiney und Alusuisse geführt. Alusuisse sah die gleichzeitigen Gespräche mit anderen Interessenten nur ungern und forderte eine frühzeitige Entscheidung zugunsten eines Bewerbers.
Das Komitee ging davon aus, dass Island rasch handeln musste, um nicht den Kostenvorteil gegenüber der – vermeintlich – bald viel billigeren Atomenergie einzubüssen. Auch meinte man, dass die Aluminiumfirmen ihre Produktionsstandorte nach Gutdünken wählen könnten und dass andere Länder Island mit Investitionsvergünstigungen überbieten könnten.
Alusuisse betonte von Anfang an, dass sie einzig an billiger elektrischer Energie interessiert war, stellte aber bald fest, dass Island auch andere Investitionsvorteile bot, wie etwa einen optimalen Zugang zum Meer und eine gut ausgebildete Arbeiterschaft. Das politische Klima galt als stabil, ist Island doch Mitglied der Nato und beherbergt einen grossen US-Militärstützpunkt. Weitere Vorteile konnte sich Alusuisse später am Verhandlungstisch sichern.
Das Schmuckstück in der Konzernkette
Die Aluminiumhütte der ISAL, der isländischen Alusuisse-Tochtergesellschaft, steht in Straumsvik an der Küste, rund fünfzehn Kilometer von der Hauptstadt Reykjavik entfernt. Besucher können die imposanten Tonerde-Silos am Weg vom Flughafen nach Reykjavik nicht übersehen. Als Teil des Hüttenwerks wurde ein grosser Hafen gebaut. Etwa viermal im Jahr bringen riesige Frachter Tonerde von den Alusuisse-Minen im australischen Gove nach Straumsvik. Die Tonerde wird direkt von den Schiffen in die Silos gepumpt – kaum eine andere Alusuisse-Hütte ist in dieser Hinsicht besser gelegen.
Das Werk wurde am 2.Mai 1970 in Anwesenheit des Alusuisse-Managements und von zehn Schweizer Journalisten eingeweiht. Die meisten Zeitungen beschrieben Island, seine Natur und Geschichte mit netten Worten und in gönnerhaftem Ton und begründeten das Interesse Islands an ausländischen Investitionen damit, dass das Land die einseitig auf die Fischerei ausgerichtete Wirtschaft diversifizieren wolle. Nicht eine Zeitung erwähnte die langen und harten Diskussionen über die Abkommen mit Alusuisse, welche einige Wochen lang das Land gespalten hatten, bevor sie im Althing (Parlament) mit einer dünnen Mehrheit von 33 zu 27 Stimmen ratifiziert wurden.
Die Schweizerische Handelszeitung vermutete im Widerstand gegen das Alusuisse-Werk eine Art nationaler Apathie und meinte, Island führe eben noch in seinen heutigen Gewohnheiten ein recht unbeschwertes Dornröschenleben (1). Die Basler Nachrichten schrieben, die Isländer sind stolz und erklären sich nur ungern zur Entgegennahme fremder Gelder bereit (2), und die Finanz und Wirtschaft fand es bezeichnend für die Mentalität der Isländer, dass sich die Arbeiter der ISAL am Tage der Einweihung weigerten, die Fabrikhallen zu wischen, da diese Tätigkeit im Vertrag nicht vorgesehen ist.(3)
Die meisten Zeitungen beschrieben Island als unterentwickelt und die Investition der Alusuisse als aufgeklärte Entwicklungshilfe eines privaten Schweizer Konzerns. So titelte die Handelszeitung Island – Manna aus der Schweiz und nannte das neue Alusuisse-Werk ein Schmuckstück in der Konzernkette.(4)
Trotz ihrer kolonialistischen Haltung bemäntelten die Schweizer Hofberichterstatter auch die wahren Motive der Alusuisse nicht und wiesen auf die ausserordentlich günstigen Transportverhältnisse, die günstigen Stromkosten, die personellen und gebietsmässigen Reserven in Island und die günstigen Zollund Steuerverträge hin und vermerkten, dass für den Umweltschutz keine teuren Investitionen getätigt werden mussten. (5)
Alusuisse investierte 240 Millionen Franken in Straumsvik. Das Werk, 1970 offiziell eingeweiht, war bereits im Sommer 1969 in Betrieb genommen worden. Die Produktionskapazität betrug anfänglich 33000 Tonnen im Jahr und ist bis heute [1998] auf 88000 Tonnen erhöht worden. Alusuisse ist grösster Auslandsinvestor im Kleinstaat Island, der weniger als eine Viertelmillion Einwohner hat. Islands Bruttosozialprodukt von rund drei Milliarden US $ liegt unter dem Umsatz des Alusuisse-Konzerns.
Die längste Debatte im Althing
Ausländische Investitionen sind in Island streng reglementiert. Die Genehmigung für solche Investitionen muss entweder vom zuständigen Minister oder vom Parlament erteilt werden.
Nach mehr als fünf Jahren Diskussion und Verhandlungen legte die isländische Regierung dem Althing im Mai 1966 das mit Alusuisse ausgehandelte Abkommen zur Ratifizierung vor. Der Vertrag füllt zusammen mit den ergänzenden Dokumenten Hunderte von Seiten in Juristensprache. Viel stand für beide Seiten auf dem Spiel, jedoch war das Risiko für Alusuisse bedeutend geringer, da sie über eine lange Erfahrung im Aluminiumund Energiesektor und somit über grösseres technisches und juristisches Wissen sowie grösseres Verhandlungsgeschick verfügte.
Die Parlamentsdebatte dauerte zehn volle Tage, manchmal bis über Mitternacht hinaus, und beherrschte für lange Zeit die Schlagzeilen. Die Protokolle füllen sechshundert engbedruckte Seiten. Die meisten Argumente – pro und contra – haben an Aktualität nichts eingebüsst, und Alusuisse blieb zwanzig Jahre lang ein politisches Thema in Island.
Die Regierung, welche dem Alusuisse-Projekt von Anfang an gewogen war, begründete ihre Haltung mit einer Reihe zusammenhängender Punkte: Island kann seine ökonomische Basis nur mit ausländischen Investitionen erweitern; Island muss sein Energiepotential nutzen. Bei einer Produktionsausweitung für die Industrie wird der Strom auch für die isländischen Konsumenten billiger; die wachsende isländische Bevölkerung braucht mehr Arbeitsplätze; Island muss rasch handeln, da der billige Atomstrom die Chancen in wenigen Jahren zunichte macht.
Die meisten Isländer waren sich einig, dass die starke Abhängigkeit von der Fischerei für das Land gefährlich sei und dass die wirtschaftliche Basis erweitert werden sollte. Aber nicht alle waren einverstanden, dass die Diversifizierung über ausländische Investitionen erfolgen sollte. Bis zu dieser Zeit hatte Island ganze Industriezweige wie etwa die Fischerei aus eigener Kraft und ohne ausländische Kontrolle entwickelt.
Die Kritiker bezweifelten die Annahmen der Regierung – und die Zweifel wurden durch die tatsächliche Entwicklung weitgehend bestätigt. So wuchs Islands Bevölkerung viel weniger rasch als von der Regierung vorhergesagt. Auch erhoben sich damals schon warnende Stimmen, die sowohl die vermeintlich niedrigen Kosten wie auch die Sicherheit von Atomkraftwerken anzweifelten. Im weiteren befürchteten Kritiker von einer grossen Aluminiumhütte ungesunde Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, welche den einheimischen Unternehmen die Anstellung neuer Leute erschweren könnte.
Bevor die Verträge abgeschlossen waren, wurde der Bevölkerung der Beginn einer neuen industriellen Ära versprochen. Die Aluminiumschmelze werde durch sekundäre Investitionen eine grosse Zahl neuer Arbeitsplätze schaffen, etwa in der Metallverarbeitung. Alusuisse erklärte sich in einem Brief an die isländische Regierung im März 1966 bereit, solche Investitionen finanziell und mit Know-how zu unterstützen, was bei der Parlamentsdebatte über den Vertrag mit Alusuisse nochmals klar unterstrichen wurde. Doch danach verschwanden diese Pläne in der Versenkung. Alusuisse hatte nie Interesse daran und liess auf subtile Art und Weise alle diesbezüglichen Bemühungen der isländischen Regierung ins Leere laufen.
In der Debatte wurde ein weiterer entscheidender Punkt angesprochen: Ein Grossteil der Elektrizität aus dem neuen Kraftwerk Burfell sollte an die ISAL verkauft werden. Dies bedeutete, dass der Bau eines weiteren Kraftwerks für den allgemeinen Stromkonsum vorzuziehen war. Dessen Produktionskosten kamen jedoch höher zu stehen. Die Last der Expansion im Energiesektor musste also von den isländischen Konsumenten getragen werden, während die ausländische Gesellschaft in den Genuss des günstigen Burfell-Stroms kam und somit indirekt subventioniert wurde.
Ein weiterer Einwand kam vom Präsidenten der liberal-zentristischen Fortschrittspartei. Bezugnehmend auf den Abzug von Gewinnen und Abschreibungen durch die Muttergesellschaft stellte er fest: Es ist, als ob die Fabrik im Lauf der Zeit Stück für Stück wieder abtransportiert würde. Gewinne und Abschreibungen sind das wichtigste Fundament für die Entwicklung unserer Wirtschaft. Wir würde es wohl aussehen, wenn die meisten Firmen in Island diese Posten abzögen und lediglich Löhne und Dienstleistungen bezahlten?
Die Kritiker befürchteten auch, dass die Investition eines multinationalen Konzerns wie Alusuisse die politischen Machtstrukturen in Island verändern könnte. Einar Olgeirsson von der linken Volksallianz warnte: Der Premierminister hat die theoretische Möglichkeit einer Nationalisierung der ISAL erwähnt. Es ist klar, dass eine solche Firma ihre eigenen Verteidigungslinien in der isländischen Politik und in den isländischen Massenmedien aufbaut.
Olgeirsson verlangte, dass der Vertrag der ausländischen Gesellschaft ausdrücklich Einmischungen in die isländische Politik untersage. Der Sozialdemokrat Benedikt Gröndal, der das Abkommen mit Alusuisse unterstützte, bezeichnete Olgeirssons Position als überholte Theorie und meinte, auch unterentwickelte Länder könnten heute ausländische Unternehmen leicht unter Kontrolle halten. Premierminister Bjarni Benediktsson von der rechten Unabhängigkeitspartei versprach, den Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen wie der ISAL die Mitgliedschaft in der isländischen Arbeitgeberorganisation nicht zu gestatten. Dieses Versprechen wurde als ungeschriebenes Gesetz von allen Regierungen eingehalten, bis es 1984 auf dem Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gebrochen wurde. Für Alusuisse hat die anschliessend erfolgte Mitgliedschaft in der Arbeitgebervereinigung den gesetzlichen Spielraum für politischen Einfluss erhöht.
Vertrag zwischen ungleichen Partnern
Formal besteht der Vertrag zwischen Island und Alusuisse aus dem Hauptabkommen vom 28. März 1966 und mehreren ergänzenden Dokumenten. Das Abkommen wurde für eine Laufzeit von 45 Jahren abgeschlossen.
Alusuisse verpflichtete sich, ihre eigene Tochtergesellschaft mit einer Reihe von Dienstleistungen im finanziellen, planerischen und Personalbereich zu unterstützen. Sie erhielt das Recht, dafür eine Gebühr von 2,2 Prozent der ISAL-Einnahmen zu verrechnen. Diese Regelung des Abkommens macht einerseits den Eindruck, als sei sie zwischen zwei unabhängigen Firmen vereinbart worden und nicht zwischen einem multinationalen Konzern und seiner Tochtergesellschaft, und andererseits, als ob die isländische Verhandlungsdelegation glaubte, die ISAL könne und wolle eine selbständige Gesellschaft werden.
Der Vertrag schreibt vor, dass das einbezahlte Aktienkapital der ISAL nie kleiner sein soll als ein Drittel des Buchwertes ihres Anlagevermögens. Daneben kann ISAL aber ohne Einschränkungen Kredite aufnehmen. Das Verhältnis des Aktienkapitals zum kombinierten Wert von Anlage- und Betriebskapital beträgt denn auch lediglich rund 28 Prozent – nicht genug für eine Firma, die selbständig werden möchte. Es wundert daher nicht, dass die Zinszahlungen der ISAL deren Auslagen für Elektrizität übersteigen.
Das Abkommen befreit die ISAL und die von ihr beauftragten
Unternehmen von Zoll und Umsatzsteuern auf allen Produkten, die für den Bau und Betrieb der Hütte importiert oder als abgenutztes Gebrauchsmaterial (Anoden, Maschinen usw.) exportiert werden. Isländische Firmen erhalten solche Privilegien üblicherweise nicht. Während Alusuisse also von der nationalen Infrastruktur wie Strassen, Wasser- und Stromversorgung, den kostenlosen Schulen und Gesundheitsdiensten profitiert, leistet sie keinen entsprechenden Anteil an die Kosten dieser Infrastruktur.
Für ISAL wurde eine Pauschalsteuer von 12.50 US$ pro Tonne exportierten Rohaluminiums vereinbart. Damit sollte eine ähnliche Steuersumme erreicht werden wie für die isländischen Firmen, die ein bis zwei Prozent ihres Umsatzes abliefern müssen. Diese Regelung, die nicht als Vorzugsbesteuerung gedacht war, wurde damit begründet, dass es sehr schwierig sei, die finanziellen Transaktionen zwischen einem multinationalen Unternehmen und seiner Tochtergesellschaft zu überwachen. In den Verhandlungen konnte Alusuisse 1965 aber durchsetzen, dass eine obere Limite für die gesamte Steuerbelastung angesetzt wurde. Die Gesamtsumme der Pauschalsteuer darf nie mehr als die Hälfte der Nettoprofite betragen. Mit einem Federstrich war die isländische Regierung wieder gezwungen, den Rechnungsverlauf der ISAL regelmässig zu verfolgen. Und dies ohne das Recht auf Einsicht in die Bücher der ISAL zu haben!
Die ISAL muss ihre Netto-Gewinne, die zur Berechnung der Steuern benötigt werden, auf objektive Grundlagen abstützen, die arm’s length-Geschäften der ISAL entsprechen.(6). Da die Alusuisse den isländischen Steuerbehörden keinen Einblick in die Bücher gewährt, kann die isländische Regierung gemäss Vertrag unabhängige internationale Bücherexperten bezeichnen, um die Bücher der ISAL zu überprüfen. Internationale Bücherexperten arbeiten vorwiegend für multinationale Firmen und sind kaum sehr interessiert, es mit diesen zu verderben. Die Ausbeute eines kostspieligen Beizugs internationaler Bücherexperten ist somit zumindest fraglich.
Der Vertrag nimmt die Alusuisse-Tätigkeit in Island von der isländischen Gerichtsbarkeit aus. Konflikte zwischen der Regierung und Alusuisse müssen einem internationalen Schiedsgericht vorgelegt werden. Diese Klausel führte zu einer langen Parlamentsdebatte. Denn Alusuisse verlangte, dass Island der unter den Auspizien der Weltbank stehenden Konvention zur Regelung von Investitionsauseinandersetzungen ICSID beitrete. Zu dieser Zeit hatten sich nur einige Staaten der Dritten Welt dieser Konvention unterstellt.
Die isländische Regierung verlangte im Vertrag mit Alusuisse keine Massnahmen zum Schutz der Umwelt, weil sich innerhalb vieler Kilometer vom vorgesehenen Standort keine landwirtschaftlichen Betriebe befänden. Trotzdem wurde Alusuisse verpflichtet, für allfällige Umweltschäden die volle Verantwortung zu tragen. Im Parlament wiesen die Gegner darauf hin, dass die ISAL die einzige von zehn Alusuisse-Hütten ohne Reinigungs- und Filteranlagen sei.
1971 erliessen die isländischen Behörden neue Umweltbestimmungen und forderten von der ISAL entsprechende Einrichtungen. Im Januar 1973 setzte das Ministerium der ISAL eine Frist von sechs Monaten und drohte bei Missachtung mit der Schliessung des Werks. Die ISAL antwortete im März positiv, doch es geschah nichts. Messungen im Umkreis von fünf Kilometern um das Werk ergaben einen Ausstoss an Fluor, der beträchtlich über den erlaubten Werten lag. Auch Kreise, die Alusuisse durchaus wohlgesinnt waren, verloren nun die Geduld. So forderte auch Hafnarfjordur, die Standortgemeinde der ISAL-Hütte, den unverzüglichen Einbau der Filteranlagen. Trotzdem dauerte es neun Jahre, bis es soweit war. Bis 1982 wurden dann bei Renovationen weitere Filteranlagen eingebaut.
Halbgeschenkte Kilowattstunden
Gemäss dem ursprünglichen Stromliefervertrag betrug der Strompreis 0.3 US-Cents pro Kilowattstunde für die ersten sechs Jahre (1969 bis 1975), nachher 0.25 US-Cents pro Kilowattstunde. Ferner sollte der Strompreis auf dem Produktionspreis basieren und keine höheren Preise im öffentlichen Netz verursachen. Der Vertrag sah nach Ablauf von 25 und 35 Jahren die Möglichkeit einer begrenzten Anpassung der Strompreise vor. Trotz dieser Regelung willigte Alusuisse 1975 und 1985 in eine Erhöhung des Strompreises ein. Beim erstenmal handelte es sich um ein Gegengeschäft: Die Erhöhung des Strompreises wurde durch eine Senkung der Unternehmenssteuern kompensiert, und zudem wurde Alusuisse die Erweiterung des Schmelzwerkes gestattet. Im zweiten Fall musste Alusuisse eine substantielle Erhöhung des Strompreises akzeptieren, nachdem ihr die isländische Regierung heimlichen Gewinnabzug durch Manipulation der Transferpreise nachweisen konnte.
Bei den Vertragsverhandlungen mit Alusuisse war Island damit einverstanden, dass die Strompreise für die ISAL tiefer sein sollten als in Westeuropa, um damit die dortigen Importzölle auf isländisches Aluminium zu kompensieren. Stromkosten und Importzölle zusammen erreichten für das Aluminium aus Island nun etwa den Betrag der westeuropäischen Stromkosten. Die Importzölle wurden nach dem Beitritt Islands zur Europäischen Freihandelszone EFTA aufgehoben, die Stromkosten wurden jedoch nicht geändert. Nur Alusuisse profitierte vom Umstand, dass das Aluminium, welches sie von der ISAL ankaufte, nun zollfrei war.
Als die Arbeit im Schmelzwerk 1969 aufgenommen wurde, bezahlte die ISAL für jede Kilowattstunde 55 Prozent des Strompreises im öffentlichen Netz, Mitte 1982 waren es nur noch 20 Prozent. Während der Anteil der Stromkosten am Aluminiumpreis anderswo 20 bis 25 Prozent ausmachte, betrug er in Island gerade acht Prozent. Dieses Missverhältnis vergrösserte die finanziellen Schwierigkeiten von Landsvirkjun, der nationalen Elektrizitätsgesellschaft Islands, besonders nach dem Bau weiterer Kraftwerke. Während die ISAL als grösster Einzelkunde rund die Hälfte der isländischen Stromproduktion verbrauchte, trug sie weniger als ein Zehntel zu den Einkünften der Stromproduzenten bei. Erst mit der Strompreis-Anpassung von 1985 konnte Island das Verhältnis etwas zu seinen Gunsten verbessern.
Die Mär von der isländischen Firma
Die Kontrolle der ISAL durch die Muttergesellschaft Alusuisse ist beinahe total. Weder gibt es isländische Aktionäre, noch werden die wichtigsten Entscheidungen vom ISAL-Verwaltungsrat gefällt. Investitions-, Marketing- und Ankauf-Strategie werden im Alusuisse-Hauptsitz in Zürich entschieden. Der ISAL-Direktion werden der Umgang mit den Angestellten, den Gewerkschaften, den lokalen Zulieferern und der Öffentlichkeit überlassen.
Weil die Verträge zwischen Island und Alusuisse anfänglich auf breiten Widerstand im Lande stiessen, wollten die schweizerischen Investoren die Fiktion aufbauen, die ISAL sei eine isländische Firma. Die Wahl des Namens – Isländische Aluminiumgesellschaft (ISAL)- hat zweifellos zur Verstärkung dieser Fiktion beigetragen.
Bis 1982 erwähnte die ISAL in ihren Jahresberichten mit keinem Wort, dass sie eine hundertprozentige Tochter der Alusuisse sei. Die ISAL veröffentlichte regelmässig Pressecommuniques über den sogenannten isländischen Aluminium-Export – der nichts anderes ist als eine Verschiffung von Aluminium zwischen Alusuisse-Tochtergesellschaften – und über Bewegungen auf dem internationalen Aluminium-Markt. Die Öffentlichkeit sollte glauben, dass Aluminium-Exporte die nationale Wirtschaft ebenso stützten wie Fisch-Exporte. Diese Fiktion führte zu der weitverbreiteten Ansicht, die ISAL werde vom isländischen Staat kontrolliert.
Eine andere Form der Desinformation bestand darin, dass die ISAL lautstark den wirklichen oder hypothetischen Verkauf von Aluminium an die Volksrepublik China oder an die Sowjetunion bekanntgab. Doch geht über 95 Prozent der Aluminiumproduktion der iSAL zur weiteren Verarbeitung in andere Alusuisse-Werke. Gegen die Hälfte der schweizerischen Aluminium-lmporte stammt von der ISAL.
Solch systematische Fehlinformation wäre kaum denkbar ohne die aktive Unterstützung der lokalen Presse. Besonders die rechtsstehende Tageszeitung Morgunbladid, die über ein Quasi-Monopol verfügt, druckte immer wieder willfährig die Meinung der ISAL-Bosse ab, oft sogar in Form von Leitartikeln.
Der Verwaltungsrat der ISAL besteht gemäss Abkommen zwischen Island und Alusuisse aus sieben Leuten, von denen fünf von Alusuisse und zwei von der isländischen Regierung ernannt werden. Die Mehrheit muss vertragsgemäss aus isländischen Bürgern bestehen. Der ISAL-Verwaltungsrat tritt ungefähr einmal im Monat kurz zusammen, manchmal in London, Kopenhagen, Zürich oder in einem idyllischen Hotel in den Schweizer Alpen, wenn es den schweizerischen Mitgliedern besser ins Konzept passt. Dieses Gremium hat keine Kompetenzen. Es hat aber immerhin dazu beigetragen, die Machtbasis der Alusuisse in Island zu verbreitern. Denn es brachte isländische Persönlichkeiten dazu, formell die Interesssen der Alusuisse zu vertreten. Die Verwaltungsratsmitglieder, auch die Regierungsvertreter, erhalten grosszügige Entschädigungen für die Erfüllung dieser Aufgabe.
Erst anfangs der achtziger Jahre kam die Tatsache ans Tageslicht, dass die ISAL in Wahrheit über eine doppelte Unternehmensspitze verfügt: einen offiziellen Verwaltungsrat und einen Exekutiv-Ausschuss, der nicht vom Verwaltungsrat gewählt wird. Einige der Verwaltungsratsmitglieder wussten lange Zeit gar nicht, dass ein solcher Ausschuss existierte. Verwaltungsräte, die die Protokolle des Ausschusses einsehen wollten, wurden abgewiesen mit der Begründung, diese seien geheim. Auch der Zugang zu anderen Dokumenten, wie etwa dem Abkommen zwischen Alusuisse und der ISAL über die Lieferung von Rohstoffen wurde den Verwaltungsräten verwehrt.
Die isländischen Marionetten im ISAL-Verwaltungsrat sorgten sich offenbar nicht stark um die prekäre Finanzlage der ISAL, welche 1981 und 1982 einen Gesamtverlust von über 60 Millionen US$ ausgewiesen hatte. Ragnar Arnason, einer der Regierungsvertreter im Verwaltungsrat, schlug am 15. Dezember 1982 vor, die ISAL solle sich um günstigere Tonerde-Lieferbedingungen bemühen, entweder bei Alusuisse oder bei anderen Anbietern. Seiner Auffassung nach hätten sich langfristige Kontrakte abschliessen lassen können, die der ISAL Einsparungen von acht Millionen US$ pro Jahr erbracht hätten. Sein Vorschlag wurde höflich überhört.
An der gleichen Sitzung schlug Arnason vor, dass angesichts der schlechten Finanzlage der ISAL der ISAL-Verwaltungsrat der Alleinaktionärin Alusuisse hiermit vorschlägt, die Entschädigung für technischen Beistand und Verkauf für die Jahre 1982 und 1983 nicht einzufordern. Kein anderes Verwaltungsratsmitglied unterstützte diesen Antrag.
Wasser-Export und Mammut-Projekte
Zwischen 1971 und 1977 hatte Alusuisse grosse Pläne für Island. So wollte sie die Hütte in Straumsvik erweitern und in der Nähe ein Tonerdewerk errichten, das mit geothermischer Energie betrieben werden sollte. Weiter erwog sie eine Beteiligung am Ausbau des staatlichen Energiesektors und am Bau neuer Kraftwerke. Die Alusuisse-Vertreter schlugen sogar vor, isländisches Wasser in Aluminium-Büchsen nach Europa zu transportieren, um die isländischen Exporte zu fördern und der isländischen Wirtschaft zu helfen. Doch dieser Vorschlag wurde nie ernst genommen.
Die Erweiterung des Schmelzwerkes wurde bewilligt. Das Tonerdeprojekt wurde ein wenig diskutiert, aber dann von Island vor allem wegen der unabsehbaren Umweltprobleme abgelehnt.
Im März 1973 sandte Alusuisse dem Industrieminister Magnus Kjartansson den Vorschlag für ein Gemeinschaftsunternehmen zwischen der isländischen Regierung und Alusuisse, das den Namen ALIS trug. Die ALIS sollte den Ausbau der ISAL finanzieren und auch höhere Strompreise bezahlen können als die ISAL. Aus Alusuisse-Sicht war es sicher eine geniale Idee, dem isländischen Staat vorzuschlagen, er könne sich selber durch die ALIS höhere Strompreise bezahlen. Begreiflicherweise wollten die Isländer den Zweck dieses Geschäfts nicht einsehen.
Die Schweizer gaben nicht klein bei. Nach einem Regierungswechsel sandte Alusuisse im Oktober 1974 einen völlig überarbeiteten Vorschlag. In Zürich dachte man nun in wirklich grossen Dimensionen. Die ALIS sollte sich drei oder vier finanzstarke Partner suchen und mit ihnen das isländische Aluminium-Konsortium ALCONIS gründen.
ALCONIS sollte eine Reihe von Unternehmen besitzen und betreiben: Eine Bauxitmine und entsprechende Verarbeitungseinrichtungen in der Nähe eines afrikanischen Hafens unter dem Dach einer Firma namens ATLANTA; verschiedene Tonerdewerke unter der Schirmherrschaft von ATLANTA, einschliesslich eines Werks mit einer Kapazität von 600000 Jahrestonnen in Island; Kraftwerke in Island, die jährlich 8000 Gigawatt Strom produzieren sollten- dreimal mehr als die gesamte damalige Stromproduktion in Island; verschiedene Aluminium-Schmelzwerke mit einer Jahresproduktion von 500000 Tonnen.
Alusuisse schätzte den Umfang dieser gigantischen Investitionen auf zwei bis vier Milliarden US$. Es muss betont werden, dass es den Alusuisse-Planern dabei vollständig ernst war. Tatsächlich sandte Alusuisse Briefe an die isländischen Behörden, worin sie diese aufforderte, so rasch wie möglich auf diese Vorschläge zu antworten. Als einer der Gründe für die Eile wurde angegeben, dass eine nicht genannte US-Firma Interesse an einer Teilnahme am Konsortium zeige und die Entscheidung nicht hinauszögern wolle.
Trotz ihrer Masslosigkeit wurden diese Vorschläge von der isländischen Regierung nicht einfach unter den Tisch gewischt. Sie führte einige Gespräche darüber mit Alusuisse und besichtigte auch mögliche Kraftwerkstandorte im Osten der Insel. Doch dabei blieb es. Nach 1975 wurde das Projekt fallengelassen. Ein Grund dafür dürfte das Abkommen gewesen sein, das Alusuisse 1975 mit der Republik Zaire schloss und etwa die gleichen Ziele verfolgte, und das von Zaire dann 1985 aufgekündigt wurde.(7)
Die verschwundenen Profite
Die Diskussion um Alusuisse und ISAL beruhigten sich nach 1975. Einzig das Thema Umweltschutz erschien noch hin und wieder in den Schlagzeilen. ISAL-Generaldirektor Halldorsson war aber offenbar der Ansicht, seinen Vorgesetzten in der Schweiz einen Dienst zu erweisen, indem er in langen Artikeln in der Presse für energieintensive Industrien, Aluminiumhütten und ausländische Investitionen warb. Ungewollt weckte er damit schlafende Hunde und motivierte ausländischen Investitionen gegenüber kritisch eingestellte Isländer (darunter auch den Autor), die Geschäftszahlen der ISAL unter die Lupe zu nehmen.
So begann die Geschichte, die den damaligen Alusuisse-Verwaltungsratspräsidenten Emanuel Meyer an der Aktionärsversammlung 1981 zur Frage veranlasste, ob wir mit unserer isländischen Investition am Ende nicht auf die falsche Karte gesetzt haben.
Im Lauf der Jahre bezahlte die ISAL die niedrigsten Strompreise in Europa – möglicherweise in der ganzen Welt – und profitierte von einer Reihe steuerlicher und gesetzlicher Privilegien. Die Löhne in Straumsvik waren nie höher, sondern eher tiefer als in anderen Alusuisse-Hütten. Der Einbau von Umweltschutz-Anlagen konnte mehr als zehn Jahre hinausgezögert werden. Und der Hafen von Straumsvik sorgte für sehr niedrige Verschiffungskosten.
Mit solch optimalen Bedingungen hätte die ISAL ein sehr profitables Unternehmen sein müssen. Als solches wurde sie von Emanuel Meyer den Alusuisse-Aktionären von 1971 bis 1979 auch präsentiert. Doch für die Regierung und die Öffentlichkeit in Island hielt Alusuisse eine andere Geschichte bereit. Nach ihren Jahresberichten zu schliessen, stellte die ISAL nämlich ein finanzielles Desaster dar. Zeitweise verzeichnete sie magere Gewinne, meistens aber schwere Verluste.
Es liegt auf der Hand, dass Alusuisse ein Interesse daran hat, in Island einen schlechten Erfolg auszuweisen. Nicht nur, um Steuern zu umgehen. Noch wichtiger dürfte die Uberlegung gewesen sein, dass die isländische Regierung angesichts hoher Gewinne bald einmal ihren Anteil daran gefordert hätte in Form von höheren Strompreisen. Klar war also, dass Alusuisse die ISAL-Gewinne künstlich tief halten wollte. Unklar war, wie sie dies tat.
Da die ISAL fast alle Rohstoffe von der Muttergesellschaft kauft und fast die gesamte Produktion wieder an diese verkauft, war die erste Frage: Bezahlt ISAL zuviel für die Rohstoffe oder bezahlt Alusuisse zuwenig für das Aluminium – oder beides? Erste Untersuchungen wurden vom Center for Policy Research in Island unter Leitung des Autors unternommen. Die Ergebnisse dieser Nachforschungen wurden im Sommer 1980 Industrieminister Hjörleifur Guttormsson übergeben. Darauf begann eine öffentliche Untersuchung der von ISAL bezahlten Tonerde-Preise. Zuerst wurde eine Liste sämtlicher Tonerdelieferungen aus der Alusuisse-Mine im australischen Gove an die ISAL zwischen 1974 und 1980 erstellt. Dann wurden die Zahlen, die die ISAL an das statistische Büro in Island lieferte verglichen mit denen, die Alusuisse an die australischen Behörden übermittelte. Dieser Vergleich brachte einen riesigen Unterschied zutage. Zwischen Januar 1974 und Mai 1980 betrug der aus der australischen Statistik hervorgehende Wert der von Gove nach Straumsvik verschifften Tonerde 87,8 Millionen US$, während die gleiche Tonerde gegenüber den isländischen Behörden mit einem Wert von 135,4 Millionen US$ ausgewiesen wurde. Beim Transport auf hoher See gewann die Ware also 47,5 Millionen US$ oder 54 Prozent an Wert.
Vor der Veröffentlichung dieser Ergebnisse sandte das Industrieministerium den Untersuchungsrichter Ingi R. Helgason nach Australien, um dort von den Behörden weitere Hintergrundinformationen zu erhalten. Erst nachher bezeichnete die Regierung am 9. Dezember 1980 diese Praktiken als Verstoss gegen das Hauptabkommen und behielt sich rechtliche Schritte vor. Sie forderte von Alusuisse eine Erklärung und verlangte eine Neuaushandlung des Abkommens.
Alusuisse-Generaldirektor Edwin Weibel flog einige Tage später nach Island, um dem Industrieminister eine mündliche Erklärung abzugeben. Er bat, mit der Veröffentlichung der Erkenntnisse zuzuwarten, um Alusuisse Zeit für genauere Erklärungen zu lassen. Der Industrieminister wartete nicht und veröffentlichte am 16.Dezember 1980 ein Communique über den Preisanstieg auf See. Am nächsten Tag kam es zu einer stürmischen Debatte im Althing.
Während der Industrieminister auf detaillierte Erklärungen der Alusuisse wartete, gab er eine Reihe von Studien zur Stützung seiner Position in Auftrag. Unter den angefragten Experten waren Samuel Moment, einer der erfahrensten internationalen Spezialisten für Bauxit und Tonerde, der ehemalige Generaldirektor der Gove Aluminium Ltd., O’Farrell, der inzwischen verstorbene frühere Generaldirektor der argentinischen Aluminiumgesellschaft ALUAR und der Berater des UNO-Zentrums für Transnationale Gesellschaften UNCTC, Carlos M. Varsavsky, sowie eine schweizerische Engineering- und eine britische Anwaltsfirma.
Aus Gewinn auf See wurde Verlust auf See
Im Februar 1981 traf die Antwort aus Zürich in Form von zwei Berichten bei der isländischen Regierung ein. Im Begleitbrief an den damaligen Premierminister Gunnar Thoroddsen schrieben die beiden Alusuisse-Generaldirektoren Edwin Weibel und Panl Müller: Wir glauben, dass wir das Missverständnis des Industrieministers über angebliche dicke <Profite auf See> klären konnten, indem wir bewiesen, dass wir tatsächlich einen Verlust <auf See>, hinnehmen und unsere isländische Tochtergesellschaft zudem stark subventionieren müssen.
Im einen Bericht mit dem Titel Preisanstieg auf See boten diese Gentlemen folgende Erklärung an:
– Gemäss isländischem Gesetz muss eine Firma, die Waren nach Island importiert, den Behörden eine unterzeichnete Import-Deklaration einreichen, welche die Art der Ware, deren Gewicht, cif- und fob-Wert (8) und Verschiffungskosten enthält. Auch die ISAL hatte für jede erhaltene Tonerde-Lieferung entsprechende Importdokumente vorgelegt. Nun behauptete der Alusuisse-Bericht, die ISAL habe sechs Jahre lang nicht die wirklichen, sondern erfundene fob-Werte angegeben. Aus statistischen Gründen hat die ISAL vermutete Versicherungs- und Frachtkosten von unseren cif-Rechnungen abgezogen (um daraus die fob-Kosten zu errechnen, E. D.). Die von Alusuisse aufgebrachten tatsächlichen Kosten sind beträchtlich höher als von der ISAL angenommen. Die Differenz beträgt 5,5 Millionen US$. Die Importdokumente waren vom Generaldirektor der ISAL unterzeichnet und von einem anderen Direktor gegengezeichnet. Glaubte man der Alusuisse-Erklärung, müsste man folgern, dass der ISAL-Generaldirektor und seine Untergebenen nicht wussten, was sie unterschrieben.
– Zur weiteren Erklärung wurde angeführt, Alusuisse habe der ISAL rückwirkend Rabatte auf Tonerde-Lieferungen zugesprochen, was sich in der Finanzrechnung der ISAL, nicht aber in den Importstatistiken niederschlug. Diese Rabatte betragen 5,9 Millionen US$. Abgesehen davon, ob diese Erklärung wahr ist – die Uberprüfung wäre nur durch eine vollständige Einsicht in die ISAL-Bücher möglich -, hat dieses Eingeständnis weitreichende Folgen. Wenn multinationale Unternehmen an den nationalen Statistiken vorbei über Rabattverrechnungen Gelder von einer Tochtergesellschaft zu andern verschieben können, kann das ganze System der internationalen Handelsstatistiken als Schwindel aufgegeben werden.
– Ähnliche rückwirkende Zahlungen will Alusuisse ohne entsprechende Meldungen an das dortige statistische Amt an ihre Niederlassung in Australien getätigt haben. Angebliche Summe: 12,6 Millionen US$.
– Schliesslich zauberte Alusuisse eine Differenz von 2,1 Millionen US$ hervor, indem sie andere Wechselkurse als die isländischen Experten anwandte.
– Zusammengezählt ergaben all diese Erklärungs-Bruchstücke aber erst eine Summe von 26 Millionen. Die verbleibende Diskrepanz von 21,5 Millionen wurde folgendermassen wegerklärt: Sogar diese verminderte <Marge> bedeutet für Alusuisse keinen Profit. Unsere Niederlassung in Australien führt die Kredite für die Investitionskosten des Tonerdewerks in Gove nicht in ihren Büchern, zudem wird diese Investition über einen bedeutend längeren Zeitraum amortisiert als üblich. Der zusätzliche Schuldendienst und die Amortisationskosten, die von der Alusuisse getragen werden, übersteigen die verbleibende <Marge>. Statt (auf See) Profite zu machen, erlitt Alusuisse sogar beträchtliche Verluste, wie die beigelegte Bescheinigung der Fides-Treuhand zeigt.
Mit einem zweiten Bericht versuchte Alusuisse zu beweisen, dass sämtliche Tonerde-Geschäfte zwischen Alusuisse und ISAL auf der Basis der arm’s length-Klausel getätigt worden seien. Dazu lieferte Alusuisse eine Menge an Zahlen aus ihrer internen Rechnungsabteilung, die zum Beispiel den Durchschnittspreis der Tonerdeverkäufe an Dritte belegen sollten. Weder der isländischen Regierung noch den von dieser beauftragten Revisoren wurde aber eine Uberprüfung dieser Zahlen gestattet.
Inzwischen hatte das Ministerium ausführliche Gutachten erhalten, die seine Anklage stützten. Das britische Revisionsbüro Coopers & Lybrand (C&L) setzte das Ausmass der Transferpreismanipulationen erheblich tiefer an als die übrigen Experten. C&L entschied sich im Zweifel für die Alusuisse-Position und akzeptierte unbesehen die Angaben der Alusuisse-Revisoren. Die C&L Experten verzichteten auf eine Uberprüfung der ISAL-Buchhaltung und gewährten der Alusuisse gar Einblick in die Entwürfe ihres Gutachtens an die isländische Regierung. Gemäss C&L betrug die Uberzahlung von Tonerde und Anoden zwischen 1975 und 1981 aber trotzdem noch 29,8 Millionen US$. Der Branchenexperte Varsavsky errechnete demgegenüber einen Betrag von 50,4 Millionen US$. Die schweizerische M&F-Engineering schätzte nur die Uberzahlung von Anoden und kam dabei auf ähnliche Zahlen wie Varsavsky. Zum Aspekt der Uberbewertung von Tonerde kam also auch noch der Vorwurf, dass Alusuisse der ISAL die von der Alusuisse-Tochtergesellschaft Aluchemie NV in Rotterdam gelieferten Anoden zu teuer verkaufte.
Die isländische Regierung entschied sich, die vorsichtigsten Schätzungen, nämlich jene der C&L, zu veröffentlichen und die weiteren in der Hinterhand zu behalten. In einer am 16. Juli 1981 veröffenlichten Erklärung hielt die Regierung fest, Alusuisse habe die Abkommen von 1966 gebrochen, weshalb sie sich alle Schritte vorbehalte. Die Regierung bekräftigte ferner ihre Forderung nach einer Neuaushandlung der Abkommen, wobei sie auf folgende Punkte besonderes Gewicht legte: Alusuisse muss die durch den Gewinnabzug erfolgten Steuerminderungen nachzahlen; die Steuerbestimmungen im Abkommen müssen überprüft werden; der Strompreis muss erhöht werden; Island soll schrittweise die Aktienmehrheit an ISAL übernehmen; andere einschlägige Artikel des Abkommens sollen überprüft werden, nicht zuletzt die Bestimmungen über Neuverhandlungen.
In der Folge begann ein eigentlicher psychologischer Krieg. Wie zu erwarten, hielten die zu dieser Zeit in Island in der Opposition stehenden Rechtsparteien zu Alusuisse, war doch die ISAL ihr Kind. Die grösste Zeitung Morgunbladid, die im Besitz von Mitgliedern der rechtsgerichteten Unabhängigkeitspartei ist, riss eine noch nie dagewesene Kampagne gegen den Industrieminister vom Zaun. Sogar die Nachforschungen derart renommierter Unternehmen wie C&L wurden als suspekt angesehen, da sie von einem linken Minister in Auftrag gegeben worden waren.
Die Schweizer Medien hielten grösstenteils kritiklos zur Alusuisse. Angesehene Blätter wie die Neue Zürcher Zeitung oder die Basler Zeitung bezeichneten die sozialdemokratische Volksallianz, die Partei des Industrieministers, als kommunistisch In der Schweiz reichte dies, um die Ergebnisse seiner Nachforschungen unglaubwürdig zu machen. Grosses Echo fand der Konflikt dagegen in Australien, und auch die internationale Fachpresse schenkte dem Disput grosse Aufmerksamkeit und liess beide Seiten zu Wort kommen.
Das Spiel geht weiter
Alusuisse beharrte auf dem Standpunkt, keine Abkommen verletzt zu haben, und war nicht bereit, die Verträge neu auszuhandeln, bevor die isländische Regierung nicht alle Anklagepunkte zurückgezogen hatte. Als souveräner Staat hätte Island trotzdem einseitige Massnahmen zum Schutz seiner nationalen Interessen ergreifen können. So schlug die Volksallianz im Althing ein Gesetz zur Erhöhung der Strompreise für die ISAL vor. Sie erhielt dafür jedoch keine Mehrheit. Alusuisse und ISAL kannten sich in der isländischen Politik aus und setzten auf einen Regierungswechsel. Alusuisse spielte auf Zeit – und unterdessen bezog die ISAL den günstigen Strom.
Die Wahlen von 1983 gingen so aus, wie Alusuisse gehofft hatte: Die Volksallianz büsste Stimmen ein und war nicht mehr in der Regierung vertreten. In Zürich gab man der Befriedigung über den Machtwechsel unverhohlen Ausdruck.
Die neue Regierung entschied, den Fall, der inzwischen vor dem internationalen ICSID-Schiedsgericht deponiert worden war, zurückzuziehen und in informellen gemeinsamen Arbeitsgruppen mit Alusuisse zu lösen. Ein Jahr später legte die Regierung dem Parlament eine mit Alusuisse ausgehandelte Konflikt-Regelung vor. Die Hauptpunkte waren:
– Die isländische Regierung sprach Alusuisse von allen Anschuldigungen und Forderungen, die erhoben worden waren oder noch erhoben werden könnten, frei.
– Alusuisse zahlte der isländischen Regierung ein Schlichtungsgeld von drei Millionen US$. Die vorherige Regierung hatte eine Summe von 10,4 Millionen für unbezahlte Steuergelder gefordert.
– Der Strompreis wurde von 0,8 auf 1,3 US-Cents pro Kilowattstunde erhöht und an den Aluminiumpreis gebunden. Zu dieser Zeit bezahlte die lokale Industrie 9,9 US-Cents, die privaten Haushalte zwischen 12,4 und 15,4 US-Cents pro Kilowattstunde.
– Die isländische Regierung erlaubt Alusuisse die Suche nach einem Partner zur Erweiterung der Hütte in Straumsvik.
– Die Bestimmung, wonach Alusuisse die ISAL mit Rohstoffen zu bestmöglichen Preisen und Bedingungen beliefern soll, wurde aus dem Abkommen gestrichen. Nur die arm’s length Klausel wurde als wirklungslose Barriere gegen TransferpreisManipulationen stehengelassen.
Die Reaktion von Svavar Gestsson, vormals Sozialminister und Vorsitzender der Volksallianz, auf das neue Abkommen verdient es, zitiert zu werden. Denn sie zeigt die Gefühle, die von vielen Isländern geteilt werden. Gestsson sagte in der Parlamentsdebatte: Es war sehr interessant zu hören, wie Alusuisse – ähnlich wie der König von Norwegen in früheren Zeiten – Isländer einspannte, um ihre Interessen zu vertreten. Alusuisse musste mit der vorherigen Regierung keine Ubereinkunft suchen, da sie hier über ihre eigenen Leute, ihre eigenen Parteien und Zeitungen verfügt…. Die Krux der Geschichte ist, was kann ein kleines Land angesichts eines multinationalen Imperiums wie der Alusuisse ausrichten? Ich meine, dass alle, die hier im Saal sitzen, stolz auf ihr Land sein sollten und nicht zulassen dürfen, dass eine solche Firma unsere nationale Einheit dann sprengt, wenn wir sie am meisten brauchen…. Das uns vorgelegte Abkommen ist – ich bedaure, dies sagen zu müssen – nichts als eine Weiterführung der Schmach, die mit der Unterzeichnung des Vertrags mit Alusuisse 1966 begonnen hatte.
Zwanzig Jahre, nachdem Benedikt Gröndal im Althing über die Fähigkeit einer Nation, multinationale Konzerne unter Kontrolle zu halten, geprahlt hatte, verneigte sich eine isländische Delegation, bestehend aus einem Minister und dem Direktor der Zentralbank, vor solch einem multinationalen Konzern. Das Schlichtungsabkommen wurde nicht in Reykjavik, der Hauptstadt der Republik Island, unterzeichnet. Es wurde in Zürich unterzeichnet, am Hauptsitz eines multinationalen Unternehmens, zur Annehmlichkeit der Alusuisse-Direktoren.
PS: Derzeit prüft Alusuisse, zusammen mit andern internationalen Aluminiumgesellschaften, den Bau einer neuen Hütte in Island. (9)
(1) Schweizerische Handelszeitung, 8.5.1970
(2) Basler Nachrichten, 20.5.1970
(3) Finanz und Wirtschaft, 9.6.1970
(4) Schweizerische Handelszeitung, 8.5.1970
(5) Basler Nachrichten, 20.5.1970
(6) Zum Begriff “arm’s length”, vgl. Kapitel “Eine geldhungrige Gesellschaft”
(7) vgl. ausführlicher Kapitel “Kleine Gefälligkeiten im grossen Geschäft”
(8) Zu den Begriffen cif und fob vgl. Kapitel “Eine geldhungrige Gesellschaft”
(9) Tages-Anzeiger, 1.9.1988
(Ubersetzung: Lukas Vogel, Bearbeitung: Peter Indermour)