Geheime Kriegsplanung
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Geheime Kriegsplanung
Sevim Dagdelen, Junge Welt, 9.9.2016
Die Regierung will mehr Geld für das Militär, aber nicht verraten, wofür es ausgegeben wird. Das NATO-»Exzellenzzentrum« in Ingolstadt ist ein Beispiel
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will mehr Geld für die Bundeswehr. Viel mehr Geld. Den Wehretat will sie im kommenden Jahr um 2,3 Milliarden Euro auf dann 26,6 Milliarden Euro erhöhen. Das ist die größte Steigerung in ihrem Ministerium seit einem Vierteljahrhundert. Und »dabei bleibt es nicht«, wie von der Leyen in der Haushaltsdebatte am Mittwoch abend im Bundestag freimütig bekundete. Wohlgemerkt, allein der Zuwachs für 2017 ist exakt die Hälfte dessen, was der Bundesaußenminister für alle zivilen Aufgaben zur Verfügung hat.
Die Millionen und Milliarden der Verteidigungsministerin machen die Rüstungsindustrie glücklich. Die liefert dafür auch mal fluguntaugliches oder überaltertes Gerät. Zum Teil fließt das Geld in Bereiche, über die Ursula von der Leyen nicht reden will. Sogenannte Exzellenzzentren etwa. Seit 2004 baut die NATO unter Federführung des in den USA stationierten Oberkommandos Transformation (Allied Command Transformation) solche »Centres of Excellence«, kurz: COE, auf. Sie sollen abseits der militärischen Befehlskette die Doktrin des westlichen Militärpakts in verschiedenen militärischen Themenfeldern weiterentwickeln. Deutschland nimmt in dieser neuen Struktur eine zentrale Stellung ein: Die BRD hat nicht nur 2005 das erste solche »Exzellenzzentrum« für Luftoperationen in Kalkar eingerichtet, sie fungiert bei drei weiteren solcher Zentren als sogenannte Rahmennation – von »Führung« möchte man nicht mehr sprechen. Darüber hinaus ist Deutschland an 17 der insgesamt 23 offiziellen »Exzellenzzentren« beteiligt. Trotzdem findet keine öffentliche Debatte über diese Institutionen statt. Die wenigsten Bundestagsabgeordneten sind sich ihrer Existenz bewusst, und bislang findet keine politische Kontrolle der dort behandelten Inhalte statt.
Während drei der von Deutschland als Rahmennation geführten Exzellenzzentren – für Luftoperationen, für Operationen in seichten und geschlossenen Gewässern und für zivil-militärische Zusammenarbeit – zumindest über ihre Internetauftritte einen gewissen Einblick in ihre Tätigkeit geben, hat das »Exzellenzzentrum für Military Engineering« (Mileng COE) in Ingolstadt bislang kaum Informationen über seine Aktivitäten veröffentlicht. Auch eine kleine Anfrage der Linksfraktion, woran denn in der Pionierkaserne »Auf der Schanz«, wo die Instanz untergebracht ist, gearbeitet wird, bringt wenig Erhellendes. Die Bundesregierung führt in ihren Antworten (Bundestagsdrucksache 18/9432) Geheimhaltungsprinzipien der NATO an und mauert. So werden zum Beispiel fünf Dokumente aufgelistet, an deren Erstellung das Exzellenzzentrum in Ingolstadt, eine »einmalige multinationale Pionierorganisation«, wie das Wehrressort schwärmt, beteiligt war. Ob es sich dabei um Entwicklungen offensiver Einsatzszenarien, die Einführung neuer Technologien und verzerrte Bewertungen vergangener und aktueller Konflikte handelt, ob damit eine aggressivere NATO-Doktrin implementiert wird – all das bleibt unklar, denn die Bundesregierung verweist darauf, dass die Papiere »nicht ohne die Zustimmung der NATO zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt werden dürfen«. Dasselbe gilt für die Ergebnisse zweier »Experimente«, an deren Durchführung das Exzellenzzentrum beteiligt war und die »Militäreinsätze in urbanem Umfeld« betrafen. Selbst die der Einrichtung und Zertifizierung als Exzellenzzentrum der NATO zugrundeliegenden Abkommen werden dem Bundestag und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht.
Die Bundesregierung will auch die Fragen der Linksfraktion nicht beantworten, welche Unternehmen und Organisationen bislang an den »Industry Days« und »Information Exchange Seminars« in Ingolstadt, die sich explizit an nichtmilitärische Institutionen richten, teilgenommen haben. Das Verteidigungsministerium gibt lediglich summarisch preis: Im Jahr 2014 waren 50 Firmen aus 21 Staaten präsent, 2015 waren es 36 Firmen aus acht Staaten. Welche genau das sind, weiß die NATO, so die Bundesregierung.
Konkretere Angaben werden lediglich zum Umfang der deutschen Beteiligung und Finanzierung gemacht. Das Verteidigungsministerium stellt zunächst die Liegenschaft innerhalb der Kaserne »Auf der Schanz« zur Verfügung. Hinzu kommt das Geld für zwölf militärische und drei zivile Dienstposten. Darüber hinaus fließen in den Militär-Thinktank dort jährlich gut 100.000 Euro, Tendenz steigend. Bundesregierung bzw. Verteidigungsministerium äußern eine »hohe Zufriedenheit über die Arbeits- und Ausbildungsergebnisse« in Ingolstadt, ohne wiederum konkrete Inhalte zu nennen. Für die »Exzellenzzentren« der NATO insgesamt sollen Deutschlands Steuerzahler im kommenden Jahr laut aktuellem Haushaltsplan 981 Millionen Euro aufbringen.